Abschied von der SPD

Unser Mitglied Julia hat Ihren Austritt aus der SPD in einem offenen Brief bekannt gegeben. Hier der offene Brief, der wohl für viele andere (Ex)-SPD Mitglieder steht.

"SPD Parteivorstand
Willy-Brandt-Haus
Referat Parteiorganisation
Wilhelmstraße 141
10963 Berlin

Mainz, 18.06.09

tl;dr: Beendigung meiner Mitgliedschaft in der SPD

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit Entsetzen habe ich die heutige Entscheidung über den Entwurf eines
Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderpornographie in
Kommunikationsnetzwerken vernommen. Die inhaltlichen Bedenken gegen
dieses an Populismus kaum zu übertreffende Gesetzesvorhaben wurden zwar
durch Experten, zahlreiche Medien sowie einige MdBs insbesondere der
Opposition überzeugend dargelegt, um Argumente schien es der Regierung
aber in dieser Debatte nicht zu gehen.

Dass die beschlossene Internetzensur keinen Fall von Kinderpornographie
zu verhindern vermag, im Gegenteil die Täter sogar schützt, muss jeder
feststellen, der sich mit dem Thema näher befasst hat. Erfahrungen mit
DNS-Sperren etwa aus Schweden haben gezeigt, dass diese ein völlig
unwirksames Mittel zur Bekämpfung von Kinderpornographie darstellen.
Wenn es den Abgeordneten der großen Koalition tatsächlich um das Wohl
der Kinder ginge, würden die konsequente strafrechtliche Verfolgung von
Missbrauch, Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit, vor allem
aber die Löschung von in Deutschland gehosteten Web-Inhalten geeignete
Mittel darstellen, die die Freiheitsrechte des deutschen Volkes
unangetastet ließen. Dass ein Erreichen der Löschung
kinderpornographischer Inhalte im WWW in den meisten Fällen binnen
kürzester Zeit möglich ist, haben Kontaktierungen von Contentprovidern
auf der Grundlage von Sperrlisten aus anderen Ländern bewiesen. Ein
solches Engagement von staatlicher Seite kann man hingegen nur im
Kontext von Online-Betrugsversuchen bemerken – wenn es um Geld geht,
klappt die internationale Zusammenarbeit da plötzlich ganz hervorragend.

Die SPD versteht sich gerne als Volkspartei. Allerdings muss sie sich
nicht wundern, wenn angesichts der dreisten Missachtung einer
beispiellosen, von über 134.000 Mitzeichnern unterstützten Petition
viele Bürger diese Einschätzung nicht mehr teilen. Die Zugeständnisse,
die etwa in Hinblick auf die Speicherung von IP-Adressen der Besucher
gesperrter Webseiten gemacht wurden, sind mir durchaus bewusst, ändern
aber nichts an der Tatsache, dass mit der Internetsperre eine kaum zu
kontrollierende Zensurinfrastruktur aufgebaut wird. Deren mittelfristige
Ausweitung auf andere Bereiche als die Kinderpornographie, wie sie auch
in anderen Ländern mit geheimen DNS-Sperrlisten nicht lange auf sich
warten ließ, kann man fast schon als historische Zwangsläufigkeit
bezeichnen.

Mein Verständnis für die derzeitige Politik der SPD hört spätestens da
auf, wo selbst Verfassungsmäßigkeit und Menschenrechte hinter Populismus
und Wahlkampfgetöse zurücktreten müssen. Von Bedenken, dass der
Gesetzgeber mit der Internetsperre in Kompetenzen eingreift, die das
Grundgesetz den Ländern zuspricht, einmal abgesehen, handelt es sich bei
dem Gesetzesentwurf schlicht und ergreifend um die Einführung von
Zensur. Durch Emotionalisierung der Debatte und die Instrumentalisierung
der schutzlosesten Mitglieder unserer Gesellschaft, der Kinder, werden
nach orwellscher Manier bürgerliche Freiheitsrechte abgebaut.

Die SPD, der ich seit meinem 16. Lebensjahr angehörte, hat sich
spätestens heute gegen die universellen Menschenrechte und gegen das
Grundgesetz gewandt. Meine Loyalität zur Verfassung ist größer als die
zur Partei. Daher lege ich mein Parteibuch mit sofortiger Wirkung nieder
und hoffe, dass die Sozialdemokraten in Deutschland den Wert der
Freiheit wiedererkennen, bevor sie sich selbst in die politische
Bedeutungslosigkeit manövriert haben.

Julia Reda

Fragen am besten direkt an Julia per Mail an reda dot julia at googlemail dot com.

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